Samstag, 28. April 2001

Der Detektiv

Mein Nachbar ist ein Detektiv – ja wirklich, am Anfang hab ich es auch nicht geglaubt. Ich hab ihn ja lange nicht gesehen. Erst meine Nachbarin hat mich drauf aufmerksam gemacht. "Schaun sie, ab jetzt wern mir beschattet!" meinte sie und zeigte auf das kleine Schild neben seiner Tür. Hier stand es wirklich schwarz auf weiss. Einige Tage später hörte ich dann die ersten verdächtigen Geräusche: Aus dem Detektivbüro kamen hämmernde Laute, ähnlich denen, die ich von mechanischen Nagelmaschinen (Tacker oder wie man dieser Dinger nennt) kenne. Hier wurde also wirklich gearbeitet. Als dieses unregelmässige Stakkatto ewig nicht aufhören wollte, hörte ich mal genauer hin. Tatsächlich – es war eine Schreibmaschine, die hier so mit ca. 10 Anschlägen/ Minute bedient wurde. Manchmal dauerte dieses unrythmische Hämmern bis spät in die Nacht, nur kurz unterbrochen vom Läuten eines Mobiltelefons und vom Grammeln eines Funkgerätes.

Einige Tage später trat er dann in Erscheinung. Er war nicht besonders gross und antwortete auf mein "Seawass" nur mit einem schüchternen "dag". Ich wusste es gleich, dass er der Detektiv war: auf seinem Gürtel hangen jede Menge wichtiger Dinge – links das Mobiltelefon, gleich daneben ein Pager – rechts ein Funkgerät, daneben ein Schweizer Offiziersmesser Marke "Victorinox". In den nächsten Tagen begegnete er mir immer öfter. Er wirkte immer gestresst, das grammelnde Funkgerät war sein ständiger Begleiter. Einmal beobachtet ihn meine Schwester in der Strassenbahn. Er sass ganz unauffällig hinter einer riesigen Zeitung und schien offenbar jemanden zu beobachten. Es kann auch sein, dass er nur für den Ernstfall probte, er hatte nämlich keine Löcher in die Zeitung gerissen. Nachmittags sass er oft in Daniels Likörstube; von den anderen Anwesenden wusste sicher keiner was von seiner Identität. Sicher hatte er ihnen erzählt, er sei Taxler oder Kellner oder so.

Seinen Fuhrpark versteckte er wohlweisslich in einer Ecke des Innenhofes. Für verschiedene Einsätze standen die unterschiedlichsten Mopedtypen bereit: eine Vespa für die Innenstadt, eine Sachs für die Aussenbezirke und eine Enduro für den Wienerwald. Sie alle hatten kleine rote Taferl – der Unauffälligkeit wegen. Als vor einigen Wochen Gerd seine 500er daneben stellte war der Detektiv dann sofort zur Stelle. "Ein schönes Pferd!" schwärmte er und begann von seinem Fuhrpark zu erzählen: Von der Enduro, die mit dem roten Taferl einen 70er rennt, von der Vespa, unter deren Blech ein 80er Pollini Häfn verborgen ist und von der Sachs, die man ihm schon zweimal stehlen wollte. Inzwischen sind die Dinger aber alle elektronisch geschützt. Sobald man nur eines von ihnen startet, geht im Büro ein Infrarotalarm los. Bei zwei der Modelle gibt es sogar eine Freisprecheinrichtung fürs Handy, nebenbei ist man ja auch als Staumelder für "Antenne Wien" unterwegs. Auch als Ö3ver ist man registriert. Über seinen wirklichen Beruf liess er trotz intensiven Hinterfragens nichts aus. Die meisten Sachen sind eben geheim.

Gestern war es dann soweit. Aus Daniels Likörstube klangen eindeutige Geräusche – ein klarer Fall – hier randaliert ein Gast. Furchbares rumpeln, dazwischen "Hör auf , hör auf" – Schreie der Wirtin. Eine Fensterscheibe zerbarst, Teile eines Sessels flogen bei der Tür hinaus – eine bedrohliche Situation. Fünf Minuten später tauchen von drei Richtungen Blaulichte auf, ein glatzköpfiger Mann wird aus dem Lokal gezerrt, der Polizeigriff wird angewandt. Die Wirtin und einige Gäste werden befragt. Auch der Detektiv taucht auf. Bekleidet mit roter Trainingshose und Trägerleiberl gibt er bereitwillig Auskunft. Ihm schenken die Polizisten das meiste Gehör, er wirkt cool und souverän. Noch lange steht er bei den Polizisten – lange nachdem der Glatzköpfige weggeführt worden ist. Und sie schreiben fast alles auf, was er sagt. Als sie fahren, geben sie ihm die Hand.

Heute bin ich ihm im Gang begegnet. Aus seinem schüchternen "dag" war ein selbstbewusstes "SEAWASS" geworden.

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